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Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen
Kinderpsychotherapie
Der 7jährige Max kommt seit einigen Wochen zu mir. Seine Eltern hatten sich bei mir gemeldet mit der Bitte um eine Therapie für Max, er habe die Diagnose 'ADHS´ 'bekommen´ und es gebe Probleme in der Schule. Max fand es eine gute Idee nach einem ersten Kennenlernen und mich offensichtlich akzeptabel genug, um regelmäßig für 50min einmal in der Woche zu mir zu kommen. Diese 50min gehören ihm, alles dreht sich um, alles bin in dem Fall ich und alles, was im Therapiezimmer an Spielmöglichkeiten vorhanden ist oder erfunden werden kann und in der Regel liegt es in seiner Hand zu entscheiden, was er machen möchte, d.h. meistens zu spielen. Dass jemand ganz für ihn da ist, ist selten, vielleicht in seinem Fall zu selten, aber was noch wichtiger sein mag, dass ich nichts von ihm erwarte, dass ich neugierig bin, ihn kennen zu lernen, dass er mich interessiert, dass ich ihn wirklich verstehen möchte. Und dass ich ihn nicht schimpfe, nicht sage, was er alles falsch macht. Weil das kennt Max zu gut. Er würde es ja auch gerne anders machen, natürlich möchte er nicht geschimpft werden und natürlich sieht er auch, dass er etwas anderes macht, als die meisten Kinder und dass es irgendwie nicht gut ist, dass er mal wieder unter den Tisch gekrochen ist in der Klasse oder er einfach nach der dritten Stunde, obwohl die Schule erst nach der fünften stunde aus ist, seine Sachen gepackt und gegangen ist. Und dass die anderen Kindern nichts mit ihm zu tun haben wollen, jedenfalls die meisten, das tut ihm schon weh, auch wenn er versucht so zu tun, als wäre es nicht so. Und, um darauf zurück zu kommen: dass ich nichts von ihm erwarte stimmt ja so auch nicht. Ich erwarte von ihm, dass er regelmäßig zur vereinbarten Zeit kommt, erst einmal unabhängig davon, ob er gerade Lust hat oder nicht und dass er da bleibt und mich nicht sitzen läßt (wie die LehrerInnen und MitschülerInnen in der Schule) und ich Angst um ihn haben muss. Es kann schon sein, dass das immer mal wieder verhandelt werden muss und geklärt werden muss, ob das Kind, also Max, überhaupt weiter kommen möchte. Und ich traue einem Grundschulkind zu, dass es dies kommunizieren kann.
Max spricht z. Zt. nicht so gerne, aber er hört zu und gibt mir dennoch und viele Möglichkeiten, ihn kennen zu lernen, wenn ich mich auf ihn und seine 'Sprache´ einlasse. Zum Beispiel: einige Wochen geht er schnurstracks, nachdem ich die Tür für ihn geöffnet und wir uns per Handschlag begrüßt haben, auf den Sandkasten zu. Manchmal sagt er, was er vorhat, manchmal fragt er, manchmal sagt er gar nichts. Er beginnt den Sand hin und her zu schütten, er wirkt, als ob es ihn gar nicht interessiert, ob ich da bin oder nicht, er wirkt überhaupt, als sei er selbst gar nicht richtig da. Meine Aufgabe ist es nun, ihn verstehen zu lernen, er zeigt mir, wie er sich aktuell verständlich machen kann und ich habe den Sinn in seinem Verhalten, dem ein Erleben zugrunde liegt, zu entschlüsseln, mich in ihn einzufühlen. Und dann ist es meine weitere Aufgabe, das, was ich verstanden habe, wie es ihm geht, was ihn beschäftigt, zu 'verwörtern´ und darüber als Spiegelung anzubieten. Kinder wollen verstanden werden, sie wollen gesehen werden. Es ist eine existenzielle Notwendigkeit. Viel Leid entsteht dadurch, dass sie eben nicht gesehen und verstanden werden, dass sie in ihrem individuellen So – Sein allein gelassen, vielleicht sogar negativ bewertet, als 'falsch´ bezeichnet werden. Kinder haben eine andere, oft viel kreativere Weise als Erwachsene oder auch schon Jugendliche sich auszudrücken. Sie sprechen weniger, sie handeln mehr oder sie verwenden symbolische Kommunikationswege wie z.B. körperliche Symptome. Gerade Kinder, die psychisch leiden, hören auf zu sprechen oder fangen erst gar nicht an. Sie ziehen sich zurück, weil sie die Erfahrung gemacht haben, ins Leere zu gehen oder negativ konnotiert wurden. Der spontane Gefühlsausdruck, der Kindern normalerweise zu eigen ist, geht verloren wie bei Alina, sie ist 9 Jahre alt. Sie kommt mit ihrer Mutter und ihr Gesichtsausdruck zeigt deutlich ihren Missmut über die Situation. Alinas Mama erzählt wie bockig Alina in der letzten Zeit sei, die Hausaufgaben seien eine Tortur und enden häufig in Streit und Drohungen seitens der Mutter, dass sie solange nicht zum Ballett dürfe, bis die Aufgaben gemacht seien. Zudem klage Alina über Bauchschmerzen am Morgen, bevor sie in die Schule gehen soll. Ich kann mir vorstellen, dass Alina sich mir gegenüber ziemlich unwohl fühlt und dass sie das Empfinden hat, mit dem Herkommen zusätzlich bestraft zu werden. Und ich stelle mir vor, dass Alina ziemlich unglücklich ist, dass sie seelisch etwas arg belastet. In Elterngesprächen stellt sich heraus, dass Alinas Eltern sich getrennt haben, dass sie immernoch viel streiten, und dass jedes Elternteil versucht, Alina auf die jeweilige Seite zu ziehen und dass sie gar nicht offen für ihre Tochter sind, im Gegenteil, jetzt ist Alina eher noch eine zusätzliche Belastung. Und Alina selbst wagt es nicht aus Angst, jemand von den Eltern zu verlieren, die Gefühle, die hinter der 'Bockigkeit´ liegen, zu zeigen. Und irgendwie macht sie es ja wie ihre Eltern, die sich hinter Aggression verstecken, anstatt die Trauer, die Angst und die Verletzung über die Trennung zuzulassen. Gleichzeitig lernt Alina, wenn ich mich verweigere, wenn ich Bauchschmerzen habe, dann kümmert sich wenigstens jemand um mich! Alina zeigt mir auf ihre Weise, dass sie das Familienthema sehr beschäftigt: am liebsten spielt sie mit dem Puppenhaus und gestaltet hier Szenen, in denen Familien zu sehen sind. Auf diese Weise versucht sie davon zu erzählen, und sich damit auseinander zu setzen, was sie beschäftigt, sie 'zeigt´ es mir und ich versuche es in Worte zu fassen: wie die einzelnen sich fühlen, warum sie etwas wie machen, was sie möchten und ich versuche mit ihr in Konfliktsituationen, die sie darstellt, Lösungen zu entwickeln. All dies kann jedoch nur geschehen, weil sich zwischen Alina und mir eine Beziehung begonnen hat zu entwickeln, in der Alina spürt, dass sie sich anvertrauen kann, dass sie sich sicher fühlen kann, dass ich sie ernst nehme, dass ihre Gefühle, egal welcher Coleur, da sein dürfen, dass sie auf mich keine Rücksicht nehmen muss, keine Angst haben muss, die Beziehung zu gefährden.
Kinder und Jugendlichenpsychotherapie ist systemisch und bindungsorientiert
Was in den vorhergehenden Abschnitten deutlich geworden ist: Kinder (und auch Jugendlichenpsychotherapie) ist immer auch ein Stück Familientherapie. Es gilt nicht nur mit den Kindern und Jugendlichen, die in Therapie kommen, eine vertrauensvolle, stabile Beziehung aufzubauen, sondern genauso mit den Eltern. Es geht darum ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass auch sie sich gesehen und ernst genommen, nicht verurteilt oder be-schuld-igt fühlen. Und es geht darum als TherapeutIn nicht mit ihnen in Konkurrenz zu treten. Im Gegenteil, es ist wichtig deutlich zu machen, dass die Mutter und/oder Vaterrolle gewürdigt werden und vermittelt wird, dass sie etwas Anderes sind und bedeuten als die Therapeutinnenrolle. Es bedeutet zusätzlich, dass die gesamte Familie bereit sein sollte und sich immer wieder motivieren muss, Veränderung zuzulassen. Wie in einem Mobile, das, wenn an einer Stelle eine Bewegung eintritt, vollständig in Bewegung gerät, wird das gesamte Familiensystem in Bewegung gesetzt. Leider ist es so, dass dies für die Eltern oft schwer zu akzeptieren ist, z.B. wünschen sie sich und ihrem Kind, dass es nicht mehr so traurig und vereinsamt in seinem Zimmer sitzt, doch wenn es dann selbstbewusster wird, ist es gar nicht zu einfach anzuerkennen, dass dazu gehört, dass das Kind jetzt zunehmend auch in der Familie und den Eltern gegenüber eine eigene Meinung vertritt. Auch ist es oft für Eltern ein Lernprozess, dass sie sich selbst verändern müssen, wenn sie wollen, dass es ihrem Kind längerfristig gut geht. In der Elternrolle tauchen häufig eigene Kindheitserfahrungen und -themen auf, die die aktuelle Beziehung beeinflussen bzw. sogar beeinträchtigen. Es kann sogar sein, dass die regelmäßig, die Kinder-/Jugendlichenpsychotherapie begleitenden Gespräche, die bis ins Teenageralter der Kinder obligat sind und dann nach Absprache mit der/dem Jugendlichen stattfinden, nicht ausreichen und den Eltern die Aufnahme einer eigenen Therapie empfohlen wird.
Ein wichtiger Bereich in den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapien ist die Ausrichtung auf Bindung. Sichere Bindungserfahrungen, die über bedeutsame Beziehungen zu Erwachsenen, meistens sind dies die Eltern, vermittelt werden, stellen eine zentrale Grundlage für psychische Gesundheit bzw. entsprechend gesunde Entwicklung dar und umgekehrt gilt die Fähigkeit, sichere Bindungen einzugehen als ein Kennzeichen von psychischer Gesundheit. Erst auf Grundlage sicherer Bindungen kann gesunde autonome Entwicklung stattfinden. Ein wesentliches Kennzeichen eines sicheren Bindungsangebots seitens der Eltern an ihre Kinder ist die Feinfühligkeit der Eltern.
Auf dem Weg erwachsen zu werden – Jugendlichenpsychotherapie
Ben ist 18 Jahre alt. Er hat vor einem halben Jahr sein Abitur gemacht und ist jetzt zum Studium einige hundert Kilometer entfernt in eine andere Stadt gezogen. Ben hat sich auf das Studium und sein neues selbständigeres Leben gefreut. Aber jetzt geht es ihm damit gar nicht gut. Ihm wird alles zu viel, er zieht sich zurück, er ist bedrückt, traut sich gar nicht mehr, seine Meinung zu sagen. Und Ben versteht noch gar nicht, wieso das so ist, wo er sich doch eigentlich gefreut hat. Ich verstehe es auch noch nicht, aber ich schlage Ben vor, dass wir das vielleicht gemeinsam herausfinden können, was ihn da hindert, sich so ganz auf sein neues Leben einzulassen und selbständiger zu werden. Für Ben war dieser Schritt in die Therapie gar nicht so einfach, denn eigentlich ist er ja dabei, erwachsen zu werden und das heißt, aufzuhören, andere, ältere Erwachsene, die irgendwie ja auch oft an die eigenen Eltern erinnern, um Hilfe zu bitten. Und so versuche ich den Spagat, einerseits Halt anzubieten und andererseits Freiraum. Ich begegne Ben auf Augenhöhe und mit dem Vertrauen, dass er, auch wenn es immer wieder enträtselt werden muss, am besten weiß, was er braucht, um die Steine, die seine Entwicklung blockieren, aus dem Weg zu räumen.
Bei Kindern und Jugendlichen ist es häufig so, dass sie in die Therapie kommen, wenn ein nächster psychischer Entwicklungsschritt ansteht, z.B. die Einschulung, die Pubertät, Ausziehen von Zuhause, Studium oder Berufsausbildung, und dies nicht so richtig klappt. Da steckt oft dahinter, dass es seelische Konflikte gibt (die unbewusst sind), die zunächst noch gelöst werden müssen, damit der nächste Schritt gegangen werden kann. Um mehr Autonomie entwickeln zu können, braucht es zunächst ebenfalls einen sicheren Hafen, von dem aus losgesegelt werden kann, von dem aus fremdes, erweitertes Terrain erkundet werden, neue Erfahrungen gemacht werden können. D.h. Es braucht Feinfühligkeit, Zuverlässigkeit, Halt (was auch bedeutet, die Situation einschätzen und ggf. Grenzen zu setzen), Ermutigung und Vertrauen seitens der/des TherapeutIn.
Und wenn es dann so weit ist, gehört auch ein guter Abschied dazu, der die Therapie wieder beendet. Das kann nach ein paar Sitzungen so weit sein und manchmal erst nach Jahren. Sich gut zu verabschieden ist etwas, dass ebenfalls gelernt sein will, es bedeutet, sich aus einer gewachsenen Beziehung im Außen zu lösen und sich noch einmal mehr bewusst zu werden, was im Inneren gewachsen ist und bleibt. Viele Menschen, große und kleine, versäumen Abschiede, weil für er für sie nur wie ein Verlust erscheint. Sich binden und lösen ist jedoch eine wesentliche Beziehungs- und Lebensqualität. Ohne diese bleiben wir abhängig und können dem Fluss des Lebens nicht folgen. Dass der Lebensfluss in seiner ganzen Kraft und Fülle, so gut es für das einzelne Kind, den/der einzelnen Jugendlichen möglich ist, wieder fließen kann, das ist eine zentrale Aufgabe von Psychotherapie.
Literatur:
*Baer, Udo/ Frick-Baer, Gabriele (2008): Wie Kinder fühlen. Beltz Verlag, Weinheim und Basel.
*Bowlby, John (2008): Bindung als sichere Basis. Grundlagen und Anwendung der Bindungstheorie. Ernst Reinhardt Verlag, München.
*Buchheim, Anna (2016): Bindung und Exploration. Ihre Bedeutung im klinischen und psychotherapeutischen Kontext. Kohlhammer Verlag, Stuttgart.
*Topel, Eva-Maria (2005): Die Psychotherapie mit Kindern. Eine praktische Orientierungshilfe!. Kreuz Verlag, Stuttgart.
Erstveröffentlichung dieses Textes: https://www.raum-und-zeit.com/r-z-online/artikel-archiv/r-z-thema/heilung-fuer-die-seele/psychotherapie-bei-kindern-und-jugendlichen.html